Auf dem Weg ins andere Österreich
14.09.2010 05:20
'Weiter im Blues': Karl Wagners Aufsätze über Peter Handke |
Entweder hat sich Handke seit damals geändert oder Wagner, jedenfalls bekunden Wagners spätere Aufsätze eine große Sympathie für Handke. Unkritisch sind sie deshalb nicht, vor allem wenn es um Handkes öffentliche Einlassungen geht. Einem Journalisten etwa hat Handke gesagt, journalistische Sprache bestehe aus 'vorgefertigte(n) Sätzen', 'man weiß immer schon vorher, was drin steht'. Das will Wagner so nicht gelten lassen, aber Handke hat es vielleicht so auch nie gemeint. Man kann mit ihm schwer in eine Erörterung darüber eintreten, was journalistische Sprache gegebenenfalls mehr und anderes wäre als 'vorgefertigte Sätze'. Deswegen wird Wagners Hinweis, Handkes öffentliche Äußerungen unterschritten bisweilen sein eigenes 'Reflexionsniveau', auch kaum Einfluss auf Handkes Äußerungen haben. Zwischen Handkes poetischem Zorn und der moderaten Gemütslage einer argumentativen Literaturwissenschaft ist das Gespräch manchmal erschwert.
Für Wagner ist Handke, wie es aussieht, der allerwichtigste deutschsprachige Gegenwartsautor, und dies aus mindestens zwei Gründen: Handke weist der Literatur einen Weg hinaus aus der in Konvention erstarrten Avantgarde; es ist nicht der Weg der 'Postmoderne' oder einer simplen Rückkehr zu den Rezepturen des klassischen Realismus, sondern einer, der ältere, vormoderne und vorbürgerliche Weisen des literarischen Singens und Sagens behutsam wieder aufgreift.
Der andere Grund ist ein sozusagen innerösterreichischer: Handke hat, vor allem mit von Wagner und anderen als dessen opus maximum gepriesenen Roman 'Die Wiederholung' (1986) ein 'anderes Österreich' literarisch konstruiert, eine, wie Wagner schreibt, 'ebenso filigrane wie dezidierte Alternative zu der imperialen Vergangenheit und zum nationalsozialistischen Gewaltzusammenhang'. Handkes Österreich-Phantasie bezieht sich auf einen geographischen und Erfahrungsraum, der nicht an Österreichs Grenzen endet (deshalb war man in Slowenien über Handke nicht immer froh), und sie geht von Figuren aus wie dem Partisanen, dem Kleinbauern oder der Magd. Eine andere Sozialdemokratie könnte, das deutet Wagner an, in Handke einen Verbündeten haben, aber so weit wird es wohl doch nicht kommen.
Wagner ist ein gründlicher und subtiler Leser von Handkes Büchern und liegt mit seinen Beobachtungen fast immer richtig. Ein wenig neigt er dazu (was man ihm nicht verübeln muss), Handke zu mythologisieren: er ist bei Wagner schon fast zur Legende geworden, wie ein alter fahrender Bluessänger, oder wie Handkes eigene Idole Van Morrison und Bob Dylan.
Wagner sieht Handke wie Dylan auf einer 'Never Ending Tour': der alte Zorn ist verraucht (aber nicht ganz), die wichtigen Bücher sind geschrieben und die, die noch kommen, werden das schon Geschriebene 'wiederholen' (aber noch lässiger). Aber die Tour geht weiter, mit dem einen Unterschied zu Dylan, dass wir ihn fast jede Woche live hören können, wenn wir wollen, und Handke nicht. 'Weiter im Blues' heißt Wagners Buch. Also dann. CHRISTOPH BARTMANN
KARL WAGNER: Weiter im Blues. Studien und Texte zu Peter Handke. Weidle Verlag, Bonn 2010. 312 S., 21 Euro
http://www.sueddeutsche.de/a5P38p/3581352/Auf-dem-Weg-ins-andere-Oesterreich.htmlhttp://handke-magazin.blogspot.com/2010/06/handke-magazine-is-over-arching-site.html
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