Polt-Heinzl, Evelyne: Peter Handke
- Evelyne Polt-Heinzl legt eine längst überfällige, mustergültige Studie über das Werk des österreichischen Autors vor.
Eine Studie zu Peter Handke, die der Qualität seines literarischen Werkes und den Komplexitäten seiner Person gerecht wird, ist schon lange überfällig. Dank Evelyne Polt-Heinzl brauchen wir nun aber nicht länger zu warten. "In Gegenwelten unterwegs" ist alles, was man sich von einem derartigen literaturkritischen Leitfaden erwartet: Das Buch ist eminent lesbar und es verzichtet auf unnötigen Jargon. Der eigentliche Verdienst von Polt-Heinzl ist freilich, dem Phänomen Handke weder negativ voreingenommen noch hagiografisch zu begegnen.
Was ihr Buch unternimmt, ist eine Relektüre der Werke Handkes, die nicht nur viele aufschlussreiche Einzelbeobachtungen bietet, sondern die Bücher auf exemplarische Weise in den soziohistorischen Kontext ihrer Entstehung stellt. Dabei zeigt sich, dass Handke in der Tat eine Art Prophet ist - allerdings nicht der abgehobene Dichterkünder, als der er oft geschmäht wird, sondern ein feinfühliger Beobachter sozialer Trends, die er seismografisch erfasst. So verzeichnet er etwa in "Über die Dörfer" (1981) frühzeitig die Folgen der als "Dorferneuerung" betriebenen Urbanisierung des ländlichen Raums, oder er hält in der "Kindergeschichte" (1981) seine Erfahrungen als alleinerziehender Vater zu einer Zeit fest, als dergleichen kaum gesellschaftliche Praxis war, wie Polt-Heinzl durch entsprechende Statistiken nachweist.
Indem die Literaturwissenchafterin und -kritikerin weitgehend chronologisch durch das Werk von Handke schreitet, entwirft sie zugleich eine Sozialgeschichte Österreichs und nimmt insbesondere die Umstände der Herkunft des Autors in den Blick. Seine Biografie ist ja nicht nur die Story vom Aufstieg eines unehelichen Kindes aus dem tiefsten Kärnten zum internationalen Literatursuperstar, gefolgt vom Absturz in den Status eines Parias nach seinen ketzerischen Anmerkungen über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien; Handkes Lebenslauf weist ebenso die geradezu unglaubliche Distanz eines Provinzlebens ohne Strom, Telefon und fließendem Wasser zur gegenwärtigen High-Tech-Welt aus iPhones, TGV und Internet auf.
Das, was wir als Fortschritt feiern, nimmt Handke als Verlust wahr, wie er auch durch seine Figuren immer wieder die Unsicherheitsgefühle eines Aufsteigers aus dem gesellschaftlichen Nichts zum Ausdruck bringt. So erklärt sich etwa seine Passion für Vorstädte als Schwellenorte zwischen der modernen Stadt und dem, was an Natur noch übrig geblieben ist. Was manche verkürzt für Handkes politischen Abschied vom gesellschaftlichen Konsens halten, ist ebenso wie seine Wende zum Klassischen samt seines Plädoyers für die Langsamkeit ein subtiler, poetischer Protest gegen das alle Aspekte unseres sozialen Lebens betreffende Vernichtungsgeschäft.
Neben solchen übergreifenden Deutungen stellt Polt-Heinzl immer wieder ihr Gespür für die besondere Qualität der Texte unter Beweis. Zwar bekommt man gelegentlich das Gefühl, dass manche Abschnitte ein Recycling von Rezensionen darstellen, doch das stört nicht wirklich, da über bestimmte Motive oder Themen aufschlussreiche Verbindungen zu anderen Büchern hergestellt werden, was ein zunehmend komplexer werdendes Netzwerk an Bezügen und Korrespondenzen ergibt. Dies geschieht etwa anhand des schriftstellerischen Handwerkzeugs Bleistift, der Dialektik von Gehen und Stolpern oder den bisher kaum wahrgenommenen humoristischen Aspekten des Slapstick und der Selbstironie bei Handke.
"In Gegenwelten unterwegs" unternimmt mithin nicht nur die überfällige Richtigstellung vieler Klischees und Verleumdungen, die über Peter Handke im Umlauf sind, das Buch konturiert auch das Bild des Schriftstellers in einer Weise, die mustergültig vorführt, was Literaturkritik heutzutage sein kann und sein sollte.
. In Gegenwelten unterwegs. Sonderzahl Verlag, Wien 2011, 168 Seiten, 16.- Euro
No comments:
Post a Comment
Comments are moderated by Michael Roloff
http://www.roloff.freehosting.net/index.html